Nicole Hillen, Komponistin und Videokünstlerin aus Nürnberg. Schlagworte: Musik, Klavier, Klaviermusik, Komposition, moderne Klassik, zeitgenössische Musik, Video, Videokunst, Nürnberg
Melancholie im Kunstraum Rosenstraße
Im Rahmen der Gemeinschaftsausstellung "Gegenstand der Melancholie" von Wolfgang Christel, Manon Heupel und Walter Hettich im Kunstraum Rosenstraße (Rosenstraße 12, 90762 Fürth) zeigt Nicole Hillen am 15. November um 15:00 Uhr ihre romantisch-melancholischen Videoarbeiten.
Nicole Hillen bricht mit konventionellen Medienkonzepten. Ihre Videoarbeiten lösen sich von den erzählenden und dokumentierenden Funktionen des Films und schaffen im Zusammenspiel von Klang– und Bildfolgen eine neue ästhetische Welt. Die Künstlerin greift dabei Bildmotive aus unserer Lebenswirklichkeit auf und überführt diese durch Montagetechniken wie Überblendung, Einblendung und Spiegelung in bewegte Strukturen, die mit den musikalischen Strukturen korrespondieren. Die Klang– und Bildwelten führen in Stimmungslagen, die von melancholisch–romantischen Motiven der Sehnsucht, des Verlusts und des Unerfüllten geprägt sind.
Nicole Hillen studierte an der Musikakademie in Wiesbaden. Sie lebt und arbeitet als Klavierlehrerin, Komponistin und Videokünstlerin in Nürnberg.
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Die Rede wurde anlässlich der Videoaufführung am 15.11.2015 – im Zuge der Gemeinschaftausstellung "Gegenstand der Melancholie" von Wolfgang Christel, Manon Heupel und Walter Hettich im Kunstraum Rosenstraße in Fürth – gehalten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde von Nicole,
die Künstlerin hat mich gebeten, zu ihrer Videopräsentation ein paar einführende Worte zu sprechen, und ich komme dem Wunsch gerne nach, weil ich ihre Arbeiten wirklich für bemerkenswert und innovativ halte.
Denn diese Arbeiten beruhen auf einem, wie mir scheint, neuartigen Zusammenspiel von Musik und Film, das konventionelle Medienkonzepte weit hinter sich lässt. Mit den üblichen kommerziellen Videoclips hat diese neue, spartenübergreifende Kunstform ebenso wenig gemein wie mit der musikalischen Untermalung von Filmszenen im Spielfilm oder im Dokumentarfilm.
In den Arbeiten geht es nämlich weder um Handlungen oder handelnde Personen noch um ein reales Geschehen, das es zu dokumentieren gilt. Vielmehr verknüpft Nicole Hillen Musik und Film zu Kompositionen, die Stimmungen tragen und Phantasien freisetzen. Eine wichtige Rolle spielen dabei digital erzeugte Bildmuster, die mit Klangmustern korrespondieren.
Dieses intermediale Konzept hängt wohl auch damit zusammen, dass sich die Künstlerin von der musikalischen Seite der Videokunst genähert hat: Nicole Hillen studierte an der Musikakademie in Wiesbaden und lebt und arbeitet als Komponistin und Klavierlehrerin in ihrer Geburtsstadt Nürnberg. 2001 produzierte sie ihre erste CD "Glasbausteine" mit 6 Stücken für Klavier und Gesang. Bis heute folgten zwei weitere CDs mit Kompositionen für Flügel sowie für Klavier und Orchester. Ihre ersten Videoarbeiten entstanden 2011. Inzwischen liegen über 20 Arbeiten vor.
Dass wir heute eine Auswahl dieser Videos im Rahmen einer Ausstellung zum Thema "Melancholie" sehen, hat gute Gründe. Die Klang und Bildwelten von Nicole Hillen führen in Stimmungslagen, die von melancholisch romantischen Motiven der Sehnsucht, des Verlusts und des Unerfüllten geprägt sind.
Wenn man die Videos überblickt, so finden sich hier fast alle "klassischen" melancholischen Naturstimmungen und Atmosphären, die wir aus der Kunst und Literatur der Empfindsamkeit und Romantik kennen:
Mond hinter Wolken,
Schneefall,
Nebel,
Regen,
trübe, verhangene Himmel,
Abenddämmerung,
Nacht.
Auch die reduzierte Farbigkeit und die häufigen Wassermotive – das Meer, ein großer See, ein Fluss – tragen zum melancholischen Charakter der Landschaftsbilder bei.
Hinzu kommt das Motiv der Reise, konkret, der Bahnreise, das einigen Videos Struktur gibt. Der Blick aus dem Waggonfenster auf die vorbeiziehende Landschaft passt gut zu der kontemplativen Haltung, die den seelisch geistigen Zustand der Melancholie auszeichnet.
Auf zwei Videoarbeiten, die wir im Anschluss sehen werden, möchte ich etwas näher eingehen.
Zunächst zu der etwas älteren Videoarbeit "schneefall" aus dem Jahr 2012.
Diese Arbeit hat ein einziges, klar umrissenes Motiv, nämlich den Schneefall im Winterwald. Wir blicken in kahle Baumkronen mit weit verzweigten Ästen, die sich gegen den trüben Himmel wie ein unregelmäßiges Gespinst abheben. Die Kamera scheint statisch zu sein, erst nach einiger Zeit bemerkt man, dass mehrere Kameraeinstellungen langsam überblendet werden. Das Video besteht also aus einer Bildfolge, die das Grundthema variiert.
Entsprechendes gilt für die akustische Seite, die eine Collage aus Stimmengeflüster und knisternden Nebengeräuschen ist. Wenn man genau hinhört, kann man einzelne Worte verstehen: schweigend ⁄ lebende Lüfte ⁄ Gedanken ⁄ roter Sand ⁄ gestauchte Freude ⁄ gerötete Wangen. Die Künstlerin hat hier den Winterwald also auch durch das Wortgeflüster als Stimmungslandschaft und seelischen Resonanzraum ausgestaltet. Gleichzeitig ist die Arbeit aber offen genug, um den Phantasien Raum zu lassen. Man kann beim Zusehen und Zuhören wunderbar seinen eigenen Gedanken nachgehen.
Die zweite Arbeit, die ich erläutern möchte, hat den schwarzmelancholischen Titel "Das Nichts".
Der Aufbau des Videos ist wesentlich komplexer als beim "schneefall", und zwar sowohl in der filmischen wie in der musikalischen Komposition, die hier am Anfang der Arbeit gestanden hat.
In dem Video kommen drei reale Orte vor: eine nächtliche U– oder S–Bahnstation in einer Großstadt – wir wissen, dass es sich um die Station Muggenhof an der Fürther Straße handelt – sodann eine belebte Fußgängerzone bei Tag – ein Platz in Paris, während einer Urlaubsreise aufgenommen – und schließlich als Gegenwelt: eine Insel im Nebel – Langeoog. Dazwischen liegen abstrahierte Bildsequenzen mit Lichtspuren und Fragmenten der nächtlichen Straßenszene.
Die musikalische Komposition verknüpft heterogene Elemente: Gesang, Stimmengewirr und wiederkehrende Melodiefragmente, die mit Großstadtgeräuschen wechseln, bis beide in ein lautes gleichmäßiges Rauschen übergehen.
Diese Phase des weißen Rauschens ist zweifellos der Höhepunkt der Komposition und bildlich durch die Insel im Nebel wiedergegeben: Der Nebel wird immer dichter und verschluckt alle Konturen, bis es keine Orientierungsmöglichkeiten mehr gibt.
Wir begegnen dem Nichts, aber als eindrucksvolles und vorübergehendes Naturschauspiel, nicht als Endstation. Das Video endet vielmehr mit der Rückkehr zum Ausgangspunkt an der nächtlichen U–Bahnstation in der Fürther Straße.
Soviel zu den Beispielen. Vielleicht sollte ich noch ergänzen, dass melancholische Stimmungen zwar ein wiederkehrendes Thema der Künstlerin sind, aber bei Weitem nicht das einzige. Aber das werden Sie sicher selbst bemerken, wenn wir uns die Videos jetzt gemeinsam ansehen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!